

Wie KI-Algorithmen den Luftverkehr regeln
Der unsichtbare Dirigent
Frankfurt am Main, ein Julimorgen, kurz vor neun Uhr. Die Displays in Terminal 1 flackern: „Delay – Thunderstorm Area“. Auf den Startbahnen sammeln sich Jets, der Tower funkt im Minutentakt. Doch während draußen Passagiere nervös aufs Boarding warten, herrscht im Operationszentrum erstaunliche Ruhe. Vor einer Wand aus 30 Monitoren beugt sich ein Dispatcher über die Tastatur. „Connection risk – hold two minutes“, blinkt auf. Sekunden später geht die Meldung ans Gate: Die Maschine wartet. Nicht der Mensch, sondern ein Algorithmus hat entschieden. Damit beginnt, unsichtbar für die Reisenden, eine Revolution. Künstliche Intelligenz ist längst keine Zukunftsvision mehr, sondern Herzschrittmacher des globalen Luftverkehrs. Airlines, Flughäfen, Flugsicherung und Aufsichtsbehörden setzen sie ein – um Verspätungen zu minimieren, Ströme zu lenken, Risiken vorherzusagen. Doch die Chancen, die sie bietet, sind zugleich ihre Risiken: Was geschieht, wenn die Systeme falsch liegen? Wer trägt die Verantwortung?
Kaum eine Branche operiert mit so geringen Margen wie die Airlines. Jede Minute zählt – buchstäblich. 2019 startete United Airlines das Programm ConnectionSaver: Ein Algorithmus analysiert Passagierströme, Wetterdaten und Crew-Dienstzeiten, um zu berechnen, ob ein Flug noch auf verspätete Umsteiger warten kann. „Das Programm hat unsere Denkweise komplett verändert“, sagt United-CEO Scott Kirby. „Wir haben Millionen Passagieren Anschlussflüge gesichert, die wir früher verloren hätten.“ Auch Delta Air Lines hat die KI ins Herz seiner Abläufe integriert. CEO Ed Bastian schwärmt: „Wir wollen Probleme lösen, bevor der Kunde merkt, dass er eines hat.“ Die Delta-App schlägt automatisch Umbuchungen, Voucher oder alternative Gates vor. American Airlines testet Chatbots für Mitarbeiter, die Gate-Agenten binnen Sekunden Ersatzflugzeuge vorschlagen. British Airways erreichte mit Tools wie „Mission Control“ 2025 eine Pünktlichkeitsrate von 86 Prozent – noch 2008 lag sie bei 46. Lufthansa setzt KI für nachhaltigere Flugplanung ein. „Wir sehen darin eine Schlüsseltechnologie für Effizienz und Klimaschutz“, sagt Vorstandschef Carsten Spohr. Doch die Abhängigkeit wächst. „Wir dürfen Dispatcher nicht zu Knopfdrückern degradieren“, warnt Jon Horne, Präsident der European Cockpit Association. „Algorithmen können helfen – aber die Verantwortung bleibt menschlich.“
Ein Sommertag in Frankfurt. Vor der Sicherheitskontrolle stauen sich hunderte Reisende. Noch vor zwei Jahren bedeutete das: Wasserflaschen raus, Laptop aufs Band. Heute laufen neue CT-Scanner, die 3D-Bilder erstellen. KI-Software markiert verdächtige Objekte automatisch. „Die Wartezeiten sinken, die Sicherheit steigt“, sagt Pierre Dominique Prümm, Vorstand bei Fraport. Bis 2026 soll die gesamte Anlage umgerüstet sein. Parallel revolutioniert Biometrie den Boardingprozess. Seit 2023 reicht in Frankfurt das Gesicht als Bordkarte. Boarding-Zeiten sinken um bis zu 15 Prozent. Doch Datenschützer mahnen: „Biometrische Daten sind hochsensibel“, so EDPB-Chefin Anu Talus. „Passagiere müssen Wahlfreiheit behalten.“
Auch hinter den Kulissen übernimmt KI. Am Berliner BER überwachen Kameras den gesamten Turnaround – Catering, Reinigung, Pushback. Sobald sich eine Abweichung zeigt, schlägt das System Alarm. Airbus testet mit Optimate sogar selbstfahrende Vorfeldfahrzeuge. „Die größte Unfallquelle am Boden ist menschliches Versagen“, sagt Airbus-Manager Jean-Brice Dumont.
Airlines: Pünktlichkeit aus dem Rechenzentrum
Leipzig, DFS-Remote-Tower-Center. Auf Monitoren laufen Panoramabilder aus Saarbrücken und Erfurt. Hier steuern Lotsen ganze Flughäfen aus der Ferne. „Es ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Technik-Geschäftsführer Dirk Mahns. „Die Kameras liefern uns bessere Informationen als das Auge im Tower.“
Eurocontrol testet parallel Algorithmen, die Verkehrsdichte und Wetterentwicklungen prognostizieren. „Wir sehen enormes Potenzial“, betont schon vor Jahren der ehemalige Generaldirektor Eamonn Brennan. „Aber wir dürfen keine Black Boxes zulassen.“
In Heathrow nutzt man seit Jahren „Time Based Separation“: Dynamische Abstände nach Sekunden statt starrer Meilen für weniger Verspätungen bei starkem Wind. Doch die Risiken sind real. „Die Bedrohung ist täglich da“, warnte 2023 Henrik Hololei von der EU-Kommission. „KI kann helfen, Angriffe abzuwehren, aber sie kann auch selbst Angriffs-Ziel sein.“
Im Brüsseler EASA-Hauptquartier werden die Spielregeln definiert. Der ehemalige Exekutivdirektor Patrick Ky betonte : „Wir verlangen Nachweise der Sicherheitsäquivalenz. Wenn das nicht gelingt, gibt es keine Zulassung.“ 2025 stoppte die Behörde die Forschung zu Single-Pilot-Operationen – zu riskant. „Solange wir nicht sicher sind, dass es genauso sicher ist wie mit zwei Piloten, bleibt es verboten.“
Der EU-AI-Act, seit 2024 in Kraft, teilt KI-Anwendungen in Risikoklassen ein. Luftfahrt gilt als „High Risk“. Datenschützer fordern dabei strikte Opt-in-Regeln, vor allem bei Biometrie. Von den Kontrollzentren der Airlines über die Sicherheitsbahnen der Flughäfen bis zu den Remote-Towers: KI ist aus dem System Luftfahrt nicht mehr wegzudenken. Sie verspricht Effizienz, Sicherheit, Pünktlichkeit – und verlangt nach klaren Grenzen.
Sicherheit ist das Fundament der Luftfahrt. KI mit klaren Regeln kann helfen, dieses Fundament zu stärken.
KI im Cockpit: Wie Algorithmen Crews, Passagiere und Hersteller verändern
Toulouse, ein frostiger Wintermorgen. Auf der Startbahn rollt ein Airbus A350. Doch während draußen die Nebelschwaden hängen, bleibt im Cockpit die Hand des Testpiloten auf dem Schoß. Kameras und Sensoren übernehmen Taxi, Start und Steigflug. Der Name des Projekts: ATTOL – Autonomous Taxi, Take-Off and Landing. 2019/20 demonstrierte Airbus erstmals, dass ein Verkehrsflugzeug mit Computer Vision vollkommen autonom fliegen kann. Heute, fünf Jahre später, ist die Vision Realität geworden – wenn auch anders als gedacht. Autonomes Fliegen bleibt Zukunftsmusik, doch KI-gestützte Assistenzsysteme sind längst Alltag: im Cockpit, in der Kabine, im Service für Passagiere. Es ist der zweite Teil der KI-Revolution: Nicht mehr nur Systeme und Abläufe, sondern der Mensch selbst steht im Zentrum.
Für Airbus war ATTOL nur der Anfang. Seit 2023 testet die Innovations-Tochter UpNext ein System namens DragonFly. Es kann im Notfall selbstständig Flughäfen identifizieren, Ausweichrouten planen, Funksprüche absetzen und eine Landung vorbereiten. „Wir wollen nicht den Piloten ersetzen, sondern ihn unterstützen“, sagte Projektleiterin Isabelle Lacaze, heute Head of Aircraft Operations: „DragonFly ist wie ein zusätzlicher Schutzschirm.“ Auch die Konkurrenz rüstet auf. Garmin erhielt 2020 die Zulassung für das erste vollwertige Autoland-System im Businessjet-Sektor. „Das ist ein Sicherheitsnetz, wenn der Pilot ausfällt“, erklärte Manager Phil Straub damals. Für Ex-EASA-Direktor Patrick Ky war die Richtung klar: „Wir werden in den kommenden Jahren mehr KI-gestützte Assistenzsysteme sehen. Aber die Verantwortung bleibt beim Menschen.“
Pilotengewerkschaften sehen das skeptisch. „Ein zweites Augenpaar ersetzt man nicht mit einem Algorithmus“, warnt Jon Horne, Präsident der European Cockpit Association. Entsprechend stoppte die EASA 2025 die Forschung zu Single-Pilot-Operationen. Doch jenseits der Debatte zeigt sich im Alltag, wie hilfreich die Systeme sind. Moderne Assistenzprogramme schlagen Routen vor, die fünf Prozent Kerosin sparen. Sie warnen vor Turbulenzen, berechnen Wetterfenster oder überwachen die Aufmerksamkeit der Crew. Das MIT arbeitet an Air Guardian, das das Blickverhalten der Piloten analysiert. Wenn die Augen zu lange abschweifen, greift es ein – nicht als Ersatz, sondern als ständiger Begleiter. „Wenn uns ein System vor Turbulenzen warnt oder eine Route vorschlägt, ist das hilfreich“, sagt eine erfahrene Kapitän einer europäischen Airline: „Aber die Entscheidung treffe ich. Ich will nicht, dass irgendwann die Maschine sagt: ‚Du fliegst falsch, ich übernehme jetzt.‘“
Kabine & Crews – Service im KI-Zeitalter
Auch die Kabine verändert sich. KLM nutzt seit 2022 die Plattform TRAYS, die Catering-Mengen optimiert. Das Nachhaltigkeits-Ziel: Millionen sparen und dabei Food Waste vermeiden! Eine Purserin berichtet: „Früher haben wir Berge von Essen weggeworfen. Heute ist das viel präziser.“ Beim Boarding helfen Algorithmen, Staus im Gang zu vermeiden. Sie berechnen die Reihenfolge nach Sitzplätzen und Gepäck. „Wir sparen Minuten pro Flug“, betonte 2022 auch der damalige KLM-CEO Pieter Elbers. Für Crews bedeutet das weniger Stress, für Passagiere schnelleren Einstieg.
Sicherheit ist ein weiteres Feld. Mit Turbulence Aware, einem Programm der IATA, tauschen Airlines Echtzeitdaten über Luftlöcher aus. Purserinnen können den Service rechtzeitig stoppen. Bislang gab es viele Verletzungen durch unerwartete Turbulenzen - heute bekommt die Lufthansa Cabin Crew die Warnung direkt aufs Tablet. Auch die Dienstpläne entstehen zunehmend per Algorithmus. Ruhezeiten, Qualifikationen, Umläufe – alles wird optimiert. „Es gibt weniger Überstunden, aber manchmal fühlt es sich unmenschlich an“, berichtet eine Flugbegleiterin von British Airways. Sara Nelson, Präsidentin der US-Gewerkschaft Association of Flight Attendants, warnt: „KI darf die Crews nicht zu bloßen Rädchen im System machen.“
Für Reisende ist der Fortschritt spürbar. Delta informiert automatisch über Umbuchungen, United rettet mit ConnectionSaver Umsteiger, Frankfurt beschleunigt mit Biometrie das Boarding. Viele Geschäftsleute begrüßen die neue Technik, mit der sie Zeit sparen und die Hände frei haben. Doch es gibt auch kritische stimmen: „Ich will nicht, dass mein Gesicht irgendwo gespeichert wird.“, hört man oft.
Auch die Sicherheitskontrollen werden einfacher. Neue CT-Scanner erlauben Flüssigkeiten und Laptops im Gepäck. Doch der Komfort hat einen Preis. Bewegungsprofile, biometrische Daten, Essensvorlieben – alles landet in Datenbanken. „Die Grenze zwischen Service und Überwachung verschwimmt“, warnt Verbraucherschützerin Dorothea Mohn. Digitalethikerin Sarah Spiekermann sieht ein Dilemma: „Passagiere wollen Bequemlichkeit. Aber sie müssen verstehen, dass sie dafür Daten preisgeben.“
Airbus, Boeing, GE, Rolls-Royce – sie alle haben die KI ins Zentrum gerückt. Airbus‘ Plattform Skywise sammelt seit 2017 Daten von über 140 Airlines. GE setzt seit 2024 KI-Analysen zur Triebwerksprüfung ein, Rolls-Royce baut auf digitale Zwillinge. „Wir können genau vorhersagen, wann ein Motor gewartet werden muss – nicht zu früh, nicht zu spät“, sagt Rolls-Royce-CEO Chris Cholerton. Für Airlines bedeutet das weniger Ausfälle, mehr Verfügbarkeit.
Auch das Flugzeugdesign verändert sich. Airbus testet KI für Flügelkonstruktionen, Boeing für Kabinenlayouts. Start-ups wie Volocopter oder Joby Aviation entwickeln eVTOL-Flugtaxis, die perspektivisch hochautomatisiert fliegen sollen. „Autonomie wird kommen, aber schrittweise“, betont Boeing-CTO Todd Citron. Die Vision vom vollautonomen Airliner bleibt jedoch fern. „Technisch können wir mehr, als wir regulatorisch dürfen“, sagt ein Airbus-Ingenieur. „Aber ob Passagiere jemals in ein Flugzeug ohne Piloten steigen würden – das ist die eigentliche Frage.“
Die KI im System Luftfahrt ist längst Alltag. Aber erst im Zusammenspiel mit dem Menschen zeigt sich ihre ganze Sprengkraft. Sie macht den Service effizienter, den Flug sicherer, das Reisen bequemer – und wirft zugleich Fragen nach Kontrolle, Verantwortung und Privatsphäre auf. KI kann helfen, uns sicherer und nachhaltiger zu machen“, so Branchen-Insider: „Aber sie darf den Menschen nicht verdrängen. Er muss im Zentrum bleiben.“
Glossar
Air Traffic Management (ATM)
Gesamtheit der Prozesse zur Steuerung des Luftverkehrs – von Start- und Landefreigaben bis zur Routenführung im oberen Luftraum. KI hilft, Verkehrsdichten vorherzusagen und Verspätungen durch präzisere Planung zu vermeiden.
Predictive Maintenance
Vorausschauende Wartung: Sensoren und Datenmodelle erkennen frühzeitig Abnutzungserscheinungen oder Defekte. Wartungsarbeiten lassen sich exakt timen, wodurch Ausfälle reduziert und Kosten gesenkt werden.
Extended Minimum Crew Operations
Konzept für Langstreckenflüge mit nur einem Piloten im Cockpit. Ein zweiter Pilot überwacht dabei vom Boden aus. Die EASA stoppte 2025 die weiteren Forschungsanstrengungen, da Sicherheitsäquivalenz nicht nachweisbar war.
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