Sonntag, 21. Dezember 2025 von Dr. Michael Gebert 2026 wird zum Wendepunkt für KI-Reife, Governance und Wertschöpfung im Top-Management
Zwischen Strategie, Narrativ und operativer Realität
Wer in diesem Jahr internationale Kongresse, Fachmessen und Executive-Formate rund um Künstliche Intelligenz besucht hat, konnte ein wiederkehrendes Muster beobachten. Die Gesprächsräume waren gefüllt, die Investitionssummen beeindruckend, die strategischen Roadmaps ambitioniert. Gleichzeitig klang in vielen Hintergrundgesprächen eine bemerkenswerte Ambivalenz an. Zwischen Bühnenpräsentationen und vertraulichen C-Level-Dialogen wurde deutlich: Die Diskrepanz zwischen KI-Anspruch und organisatorischer Realität wächst.
Nahezu jedes größere Unternehmen kann inzwischen eine AI-Strategie vorweisen. Generative Modelle sind eingeführt, Plattformen lizenziert, Programme gestartet. Doch jenseits der offiziellen Narrative berichten viele Verantwortliche von einer ernüchternden Erfahrung. Die tatsächliche Nutzung bleibt begrenzt, Prozesse verändern sich kaum, und der erwartete Produktivitätsschub lässt auf sich warten. Was nach außen als Transformationsdynamik erscheint, erweist sich intern häufig als fragiles Konstrukt.
Diese Beobachtungen sind kein Ausdruck individueller Fehlentscheidungen, sondern Ergebnis eines strukturellen Spannungsfeldes, das sich 2025 deutlich verdichtet hat. Künstliche Intelligenz ist in den Führungsetagen angekommen – allerdings oft als strategisches Symbol, weniger als operatives Werkzeug. Investitionen signalisieren Zukunftsfähigkeit, Programme Innovationsbereitschaft, Erfolgsgeschichten strategische Kontrolle. Die reale Wertschöpfung im Arbeitsalltag bleibt davon jedoch vielfach entkoppelt.
Besonders sichtbar wird dieses Spannungsfeld im Umgang mit Kennzahlen. In Gesprächen mit Vorständen und Bereichsleitungen zeigt sich, wie stark der Wunsch nach messbaren Erfolgen ist. Produktivitätsgewinne durch KI sollen belegbar sein, idealerweise in klaren Prozentwerten oder eingesparten Stunden. Gleichzeitig herrscht Einigkeit darüber, wie schwierig diese Messung tatsächlich ist. Wissensarbeit lässt sich nicht standardisieren, Tätigkeiten unterscheiden sich fundamental, und Effekte entstehen oft indirekt.
2026 wird das Jahr der Bewährungsprobe
Produktivitätszahlen werden häufig präsentiert, als seien sie objektiv belastbar. In vielen Fällen ersetzen plausible Annahmen eine saubere Methodik. Zeitersparnis wird mit Wertschöpfung gleichgesetzt, ohne zu prüfen, ob die gewonnene Zeit tatsächlich produktiv genutzt wird. In vertraulichen Gesprächen räumen viele Entscheider offen ein, dass der ausgewiesene Return on Investment eher eine strategische Erzählung als ein betriebswirtschaftlich belastbarer Wert ist.
Diese Praxis ist nicht Ausdruck von Täuschungsabsicht, sondern Ergebnis eines hohen Erwartungsdrucks. KI gilt als Schlüsseltechnologie, Investitionen müssen legitimiert, Fortschritt sichtbar gemacht werden. Das Risiko liegt jedoch darin, dass Narrative an die Stelle von Steuerung treten. Wenn Erfolg vor allem kommuniziert wird, statt ihn strukturell abzusichern, verliert die Organisation ihre Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion.
Ein weiteres Thema, das sich in zahlreichen Gesprächen auf Messen und Kongressen wiederholte, betrifft die Rolle der Führungsebene selbst. Viele C-Level-Verantwortliche unterstützen KI-Programme, ohne die eingesetzten Werkzeuge regelmäßig selbst zu nutzen. Das hat nachvollziehbare Gründe. Zeitknappheit, hohe Entscheidungsdichte und etablierte Delegationslogiken lassen wenig Raum für experimentelles Arbeiten. Hinzu kommt eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit neuen Technologien, die in exponierten Rollen kaum offen adressiert wird.
Die Folge ist eine strategische Distanz zur operativen Realität von KI-Systemen. Entscheidungen über Investitionen, Skalierung und Priorisierung basieren häufig auf Berichten, Präsentationen und externen Benchmarks, nicht auf eigener Nutzungserfahrung. In Gesprächen wird diese Lücke zunehmend als Problem erkannt, da sie die Fähigkeit einschränkt, realistische Erwartungen zu formulieren und Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen.
Eng damit verknüpft ist das Thema Governance. In vielen Unternehmen wird Governance im KI-Kontext noch immer mit Regulierung oder Compliance gleichgesetzt. In den Gesprächen dieses Jahres zeigte sich jedoch ein wachsendes Verständnis dafür, dass Governance etwas anderes meint: die klare Festlegung von Verantwortung, Entscheidungswegen und Kriterien für Wirksamkeit. Dort, wo diese Strukturen fehlen, entfaltet KI keine nachhaltige Wirkung – unabhängig von der Leistungsfähigkeit der eingesetzten Modelle.
Besonders deutlich tritt dieses Defizit im Bereich der Adoption zutage. Auf nahezu jeder Messe und in jedem Panel wurde betont, wie wichtig Nutzerakzeptanz sei. Gleichzeitig berichteten viele Unternehmen von sehr niedrigen Nutzungsraten ihrer KI-Tools. Adoption wird dabei häufig missverstanden. Sie entsteht nicht durch technische Verfügbarkeit oder Schulungsangebote, sondern durch die sinnvolle Integration in reale Arbeitsprozesse. Nur wenn KI als selbstverständlicher Bestandteil täglicher Routinen wahrgenommen wird, entsteht nachhaltiger Nutzen.
Die Gespräche des Jahres 2025 machen deutlich, dass viele Organisationen diesen Schritt noch vor sich haben. Tools sind vorhanden, doch Prozesse bleiben unverändert. Qualifizierungsmaßnahmen sind angeboten, aber nicht in den Arbeitsalltag eingebettet. Kulturelle Fragen werden adressiert, ohne strukturelle Konsequenzen zu ziehen. Technologie wird eingeführt, ohne die Organisation mitzutransformieren.
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich für 2026 eine entscheidende Wegmarke ab. Die nächste Phase der KI-Entwicklung in Unternehmen wird weniger von neuen Modellen oder Funktionen geprägt sein als von organisatorischer Reife. Der Engpass liegt nicht im technologischen Potenzial, sondern in der Fähigkeit, Verantwortung, Nutzung und Wirkung systematisch zu gestalten.
Für C-Level-Entscheider und Unternehmer bedeutet dies eine Verschiebung der Prioritäten. Die zentrale Frage lautet nicht mehr, ob in KI investiert wird, sondern wie diese Investitionen wirksam werden. Führungskräfte werden sich stärker als bisher selbst mit den Werkzeugen auseinandersetzen müssen, nicht aus technischer Neugier, sondern aus strategischer Notwendigkeit. Wirkungsmessung wird an Bedeutung gewinnen, auch wenn sie komplexer und weniger spektakulär ausfällt als einfache Erfolgszahlen. Prozesse werden angepasst werden müssen, bevor Skalierung sinnvoll ist.
Gleichzeitig zeigt sich in vielen Gesprächen auch eine positive Perspektive. Dort, wo Unternehmen Governance ernst nehmen, Kompetenzaufbau systematisch betreiben und KI schrittweise in Prozesse integrieren, entstehen belastbare Effekte. Diese Beispiele sind weniger laut, weniger spektakulär, aber deutlich nachhaltiger. Sie deuten darauf hin, dass KI nicht an ihren Möglichkeiten scheitert, sondern an der Bereitschaft von Organisationen, sich selbst zu verändern.
Die Debatte, die sich aus den Erfahrungen dieses Jahres speist, ist deshalb keine technologische, sondern eine unternehmerische. Sie richtet sich an jene, die Verantwortung tragen und Entscheidungen prägen. 2026 wird nicht das Jahr der nächsten großen KI-Versprechen sein, sondern das Jahr der Bewährungsprobe. Ob Künstliche Intelligenz zur Bühne oder zur Transformation wird, entscheidet sich nicht auf Messen oder in Präsentationen, sondern im Inneren der Organisationen. Für das Top-Management bedeutet das eine unbequeme, aber notwendige Erkenntnis: Solange Narrative wichtiger sind als Strukturen, bleibt KI ein Symbol. Erst wenn Struktur wichtiger wird als Storytelling, beginnt echte Transformation. ■
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